Der Mai ist gekommen und auf meiner kleinen Wiese tut sich was. Die ersten Pflanzenrosetten zeigen sich, aber noch sind die meisten zu klein, um sie bestimmen zu können. Eine erkenne ich sofort: die Wiesen-Margerite (Leucanthemum vulgare). Früher war sie eine häufige Wiesenblume, heute ist sie selten geworden, weil die intensive Landwirtschaft mit ihren hohen Güllegaben ihr nicht gut bekommt. In meinem Garten blüht sie seit Jahren, bevorzugt auf Rasenflächen, die sonnig, nährstoffarm und trocken sind. Mit dem Rasenmäher mache ich um die Pflanzen einen Bogen, bis sie ausgestaatet haben. Wiesen-Margeriten sind zwar mehrjährig, aber nicht alle überleben den Rasenmäher, wenn er denn doch kommt.
Keimkünstler Löwenzahn
Pflanzensamen sind übrigens wahre Überlebenskünstler. Manche überdauern Jahrzehnte im Boden, beim Löwenzahn (Taraxacum officinale) sollen es bis zu 600 Jahre sein! Wie man das feststellt? Zum Beispiel, indem man Grabbeigaben analysiert: Oft wurde den Toten Nahrung für die Reise ins Jenseits mitgegeben, Früchte zum Beispiel und Getreide. Mit dabei befanden sich meist auch einige Unkrautsamen. Schließlich gab es damals keine so perfekte Saatgutreinigung wie heute. Wenn man das Alter des Grabes kennt, dann weiß man auch, wie alt die Saatkörner sind, kann sie aussäen und prüfen, ob sie noch keimen. Mit Weizen aus den ägyptischen Königsgräbern hat man das übrigens ebenfalls versucht. Vergeblich. Da hat die Zeit der Biologie den Garaus gemacht.
Vom Nutzen der Aufwinde
Meine Ehrfurcht vor dem Löwenzahn ist zusätzlich gestiegen, seit ich weiß, dass der Mini-Schirm aus zarten Härchen, an denen das Löwenzahn-Saatkorn hängt, bis zu 16 Kilometer weit fliegen kann, bei Aufwinden schafft er sogar tausende Kilometer über den Ozean. Außerdem habe ich Spatzen und Finken dabei beobachtet, wie sie über meinen Rasen spazieren, die unreifen Saatkapseln aufpicken und die Körner fressen. Seit ich das alles weiß, rupfe ich die verblühten Stängel nicht mehr ab. Vielleicht wird das eine oder andere Löwenzahn-Kind aus meinem Garten in einen Dornröschenschlaf fallen und erleben, wie die Welt in 600 Jahren aussieht.