Luise spricht. Unsere Ente, die uns im vergangenen November zugeflogen ist. Als ihre Artgenossinnen in den Kochtopf wanderten, entfloh sie und landete auf dem Garagendach. Inzwischen ist sie handzahm und wartet morgens vor der Terrassentür auf ihre Ration Hühnerfutter. Maiskörner mag sie besonders gern. Mit der Futtertüte rascheln genügt und sie kommt fiepend angerannt, soweit man bei einer dicken weißen Ente von rennen sprechen kann. Eher schaukelt sie ihre üppigen weißen Entenbrüste vor sich her und die Füße folgen gerade so schnell, dass sie ein Nach-vorne-Kippen verhindert.

Wo ist Luise?

Ein Federbüschel von Luise – hat sie jemand umgebracht
Ein Federbüschel von Luise – hat sie jemand umgebracht?

Vor ein paar Tagen dann war Luise weg. Dafür lag auf einer Auffahrt zwei Häuser weiter ein dickes Bündel schneeweißer Daunenfedern, die nur von Luise stammen konnten. Lebt sie noch, liegt sie schon mit zerrissenem Hals in irgendeinem Mülleimer, vergraben im Garten oder schmort sie doch in einem Ofen? Trauriger Gedanke. Wir haben Luise liebgewonnen, auch wenn sich die Kommunikation mit ihr auf „Komm Gack, Gack“ und ein leises Fiepen als Antwort beschränkt hat. Übrigens hat sie im Garten nie Unheil angerichtet, keine Pflanzen ausgegraben oder zertreten, auch nicht auf meiner kleinen Wiese.

Luise trinkt ein Ei

Als sie wieder da ist, sieht sie erschreckend aus. Aus ihrem Schnabel fließt klarer Schleim, und sie trägt darin etwas, das wie eine riesige weiße Beule aussieht. Eilig strebt sie zum Teich und stürzt sich hinein. Beim näheren Hinschauen zeigt sich: Sie trägt ein Ei im Schnabel, die Schale zerbrochen, drinnen schwappt der gelbe Dotter, den sie jetzt auffrisst und mit viel Wasser herunterspült. Nun steht fest: Luise brütet. Sie hat zwar keinen Erpel, aber sie hat wieder Eier gelegt, und diesmal so, dass wir sie nicht finden. Abgestorbene oder nicht befruchtete Eier fressen Enten manchmal wieder auf. Mit viel Wasser. So steht es im Netz. Weil sie brütet, ist Luise jetzt meistens weg. Weil sie brütet hat sie keine Zeit, mit mir im Garten auf Insektenjagd zu gehen. Hoffentlich kommt sie wieder zurück. Ich vermisse sie, obwohl ich immer meine Terrasse schrubben muss, wenn sie mich besuchen kommt. Enten sind Ferkel. Was vorne reingeht, kommt hinten wieder raus, wo es Luise gerade passt.

Über die Autorin

Susanne Dohrn lebt als Autorin und freie Journalistin in einem alten Garten in Schleswig-Holstein. 2017 erschien ihr Buch „Das Ende der Natur: Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür“ (Ch.Links Verlag, Taschenbuchausgabe 2018 im Herder Verlag), 2019 veröffentlichte sie „Der Boden: Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel“ (Ch.Links Verlag). Im November 2020 erhielt das Buch den Salus-Medien-Sonderpreis, mit dem das Unternehmen "herausragende journalistische Beiträge ... zu Gentechnik, Ökologie und Umwelt" auszeichnet.

Vielleicht gefällt dir auch das: