Wenn vor meinem Arbeitszimmer der Zaunkönig (Troglodytes troglodytes) seine Liebesarie schmettert, ist die Pandemie vergessen. Der kleine Kerl weiß nichts von Corona, er weiß nichts von Lockdown. Zaunkönige können bis zu sieben Jahre alt werden. Für ihn sitze ich schon immer in dem Zimmer unter seinem Nest, so wie der Efeu an der Wand schon immer da ist. Bei schönem Wetter lockt der Zaunkönig mich hinaus in den Garten. In unserem alten Weidenbaum brummt es tief und friedvoll. Die Erdhummeln sammeln auf den Kätzchen Pollen und Nektar. 

Es ist eine Salweide (Salix caprea) und ihr Stamm zerfällt gerade vor unseren Augen. Schon wird er vom Giersch (Aegopodium podagraria), dem Schrecken aller „Sauber-Gärtner“ überwuchert. Trotzdem blüht die Weide Jahr für Jahr, denn aus dem morschen Holz wächst ein neuer Stamm empor.

Salweiden sind Überlebenskünstler, und sie sichern anderen Lebewesen das Überleben: im Frühjahr den Bienen und Schmetterlingen mit Nektar und Pollen. Für etwa hundert Insekten ist die Saalweide ein Futterbaum. Selbst das alte Holz lebt. Es klingt als ob „jemand“ an dem Holz raspelt und es frisst. Morsches Holz ist für manche Käfer eine Delikatesse. Unsere Weide wird es überleben.  

Über die Autorin

Susanne Dohrn lebt als Autorin und freie Journalistin in einem alten Garten in Schleswig-Holstein. 2017 erschien ihr Buch „Das Ende der Natur: Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür“ (Ch.Links Verlag, Taschenbuchausgabe 2018 im Herder Verlag), 2019 veröffentlichte sie „Der Boden: Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel“ (Ch.Links Verlag). Im November 2020 erhielt das Buch den Salus-Medien-Sonderpreis, mit dem das Unternehmen "herausragende journalistische Beiträge ... zu Gentechnik, Ökologie und Umwelt" auszeichnet.

Vielleicht gefällt dir auch das: