Der Wind ist eisig und weht von Nord. Die Pflaume blüht, die Schlehe auch. „Schlehenkälte“, sagt mein Vater. „Kälten“ kennt er viele: Schafskälte, wenn die Schafe geschoren werden, Weißdornkälte, wenn der Weißdorn blüht. Die kommen alle noch. Trotzdem: Auf meiner kleinen Wiese tut sich was. Vor 14 Tagen haben wir gesät. Am nächsten Tag kam der Regen und die meisten Tage blieb es feucht. Andererseits: Müssen die Keimlinge in der Natur nicht auch überleben, wenn es mal trocken ist? Als es einmal drei Tage lang nicht regnet werde ich trotzdem schwach und sprenge am Abend, damit das Wasser nicht in der Sonne verdunstet und über Nacht langsam in den Boden einzieht. Und schaue. Tut sich was? Ja, es zeigen sich viele feine dünne Grashälmchen. Ich fürchte, die gehören hier nicht hin. Vermutlich war die Fläche doch nicht so „sauber“, wie sie hätte sein sollen.

Das Unheil wächst zuerst

Dreiblatt, Giersch, der gefürchtete Gartenfeind zeigt sich ebenfalls. Eingewandert aus dem Himbeerbeet nebenan. Der lateinische Name Aegopodium podagraria leitet sich von griechisch αἴγειος = aigeos für „von Ziegen“ und πούς-ποδός = pous-podos für Fuß ab. Ich will keinen Ziegenfuß! Er wird mit seinen unterirdischen Ausläufern, die bis zu 20 Meter lang werden können, meine ganze Wiese infizieren. Ich beschließe, jedes Blatt und die dazu gehörende Wurzel, einzeln heraus zu operieren, auch wenn es Leute gibt, die behaupten, Giersch würde als Salat ganz gut schmecken.

Kandidaten aus der Samenbank

Weiter Keimblättchen zeigen sich. Dabei sind zwei alte Bekannte: Borretsch vom Vorjahr, Borago officinalis auch Gurkenkraut genannt. Im Süden Deutschlands heißt er ganz poetisch „Guckunnerkraut“, vermutlich weil die  zarten leuchtend blauen Blüten nach unten zeigen. Andere Namen sind Blauhimmelstern, Herzfreude, Liebäuglein und Wohlgemutsblume, und ich liebe sie alle. Die Gewöhnliche Braunelle ( Prunella vulgaris) hat sogar schon sechs Blätter, aber sie wuchs hier auch schon im vergangenen Jahr. Vielleicht ist auch sie ein Kandidat aus der Samenbank. Die anderen Keimblätter sind mir unbekannt. Ich werde sie weiter beobachten. 

Über die Autorin

Susanne Dohrn lebt als Autorin und freie Journalistin in einem alten Garten in Schleswig-Holstein. 2017 erschien ihr Buch „Das Ende der Natur: Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür“ (Ch.Links Verlag, Taschenbuchausgabe 2018 im Herder Verlag), 2019 veröffentlichte sie „Der Boden: Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel“ (Ch.Links Verlag). Im November 2020 erhielt das Buch den Salus-Medien-Sonderpreis, mit dem das Unternehmen "herausragende journalistische Beiträge ... zu Gentechnik, Ökologie und Umwelt" auszeichnet.

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