Familiengeschichten sind so eine Sache. Manche stimmen nicht, viele sind geschönt. Andere basieren auf falschen Erinnerungen oder falschen Informationen. So ist es mit unserem Danziger Kantapfel. Seit ich mich erinnern kann, trägt der haushohe Baum diesen Namen. Ich würde gerne einen neuen ziehen, damit er weiterleben kann. Beim Informationsaustausch mit der Obstsortensammlung Waldeshöhe in Mecklenburg-Vorpommern stellt sich heraus: Unser Kantapfel ist kein Kantapfel. Deren erste Diagnose lautet: Schafsnase. Ich war enttäuscht.

Schließlich ist der Danziger Kantapfel eine historische Sorte, bekannt seit 1703. Der Name klingt nach Ostsee, nach Günter Grass, nach einer langen Geschichte. Als ich erfuhr, dass es die Rheinische Schafsnase schon viel länger gibt, nämlich seit etwa 1600, war ich versöhnt, mein 93jähriger Vater hingegen nicht. Die Schafsnase war ihm zu profan. Doch die Namensgebung ist damit noch nicht zu Ende. Die nächste Frage der Obstsortensammler lautete: Wie sieht der Apfel innen aus, also das Fleisch? Ich habe welche aufgeschnitten und das Foto geschickt.

Die Antwort kam zusammen mit einem Link zu einem historischen Buch. Es wird vermutlich ein Rosenfarbiger Cousinot sein.

Mich erinnert der Name an Homers rosenfingrige Morgenröte. Meinen Vater, der mit Homer nichts am Hut hat, bleibt bei seiner Diagnose. „Dann ist es eben ein regionaler Kantapfel.“

Über die Autorin

Susanne Dohrn lebt als Autorin und freie Journalistin in einem alten Garten in Schleswig-Holstein. 2017 erschien ihr Buch „Das Ende der Natur: Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür“ (Ch.Links Verlag, Taschenbuchausgabe 2018 im Herder Verlag), 2019 veröffentlichte sie „Der Boden: Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel“ (Ch.Links Verlag). Im November 2020 erhielt das Buch den Salus-Medien-Sonderpreis, mit dem das Unternehmen "herausragende journalistische Beiträge ... zu Gentechnik, Ökologie und Umwelt" auszeichnet.

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