Jedes Jahr will ich die Zwiebeln wegwerfen, aber dann tun sie mir doch wieder leid. Pflanzen sind Lebewesen wie wir auch. Es widerstrebt mir, sie zu töten. Zudem rührt es mich, wie sich die unansehnliche Zwiebel des Rittersterns (Hippeastrum) Jahr für Jahr aufrafft, vier bis fünf Blüten hervorzubringen, von denen jede einzelne mindestens dreimal so groß ist wie die Zwiebel. Rittersterne, erkennbar an dem hohlen Blütenstiel, gibt es in vielen Farben von Weiß, über Lachs, bis zu gestreift und Ferrari rot. Wenn es draußen dunkel, kalt und grau ist, bringen Rittersterne – im Blumenladen als Amaryllis verkauft – Farbe ins Haus.

Wer die Blüte genau beobachtet, kann sehen, wie sich erst die Staubgefäße öffnen und einige Tage danach der Stempel zur Befruchtung bereit ist.

Meine Pflanze wird auch dieses Jahr wieder blühen. Allerdings erst, nachdem sie und ihre Tochterzwiebeln Blätter gebildet haben. Bei Rittersternen ist es eigentlich umgekehrt. Vermutlich entsprachen meine „Regengüsse“ und Temperaturen nicht ganz denen ihrer Heimat in Südamerika.

Nach der Blüte beginnt für die Gärtnerin die Durstzeit. Der Topf steht mit geilen Blättern auf der Fensterbank herum, bevor es warm genug ist, ihn im Garten unterzubringen. Dort soll die Zwiebel Kraft für die neue Blüte sammeln, aber im Garten leben ihre größten Feinde, die Schnecken. Was habe ich alles versucht: Die Rittersterne weit weg von jedem Gartengrün platziert. Sie hochgestellt. Sie im Gartenhaus untergebracht. Die Schnecken fanden immer ihre Beute. Sie müssen eine feine Nase haben.

Mein Eindruck: Auch Schnecken verfahren nach dem Prinzip: variatio delectat, Abwechslung macht Freude. Wenn ab Spätsommer die Zwiebelruhe beginnt, ich die Rittersterne also nicht mehr gieße und sie ihre Blätter einziehen, stört das die Schnecken nicht im Geringsten. Dieses Jahr habe ich eine feiste Wegschnecke dabei erwischt, wie sie große Stücke aus der Zwiebel gebissen hat. Die Zwiebel hat sich von dem Angriff erholt. Die Wunde ist zugewachsen. Bald wird sie wieder Ferarri rot blühen. 

Über die Autorin

Susanne Dohrn lebt als Autorin und freie Journalistin in einem alten Garten in Schleswig-Holstein. 2017 erschien ihr Buch „Das Ende der Natur: Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür“ (Ch.Links Verlag, Taschenbuchausgabe 2018 im Herder Verlag), 2019 veröffentlichte sie „Der Boden: Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel“ (Ch.Links Verlag). Im November 2020 erhielt das Buch den Salus-Medien-Sonderpreis, mit dem das Unternehmen "herausragende journalistische Beiträge ... zu Gentechnik, Ökologie und Umwelt" auszeichnet.

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