Sie können nicht hören. Sie erkennen allenfalls Hell und Dunkel und vom Klavierspielen spüren sie nur die Erschütterungen. Dafür haben sie einen fein ausgeprägten Geschmackssinn: Welker Kohl mundet sehr, gammelige Zwiebelstückchen ebenfalls, auch rohes Fleisch. Minze hingegen wird wenig geschätzt. Die Rede ist vom Regenwurm oder Tauwurm, wissenschaftlich Lumbricus terrestris. Charles Darwin hat seine Vorlieben und Fähigkeiten in unzähligen schlaflosen Nächten in seinem Arbeitszimmer getestet. Er ist ihnen quasi auf den Schleim gegangen. Seine Beobachtungen hat er in dem bis heute lesenswerten Werk Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer, erschienen 1882, aufgeschrieben. Jetzt im Spätherbst, wenn die Blätter fallen, sind sie in meinem Garten ganz besonders aktiv.

Die Humus Macher

Wer viele Regenwürmer im Garten oder auf seinem Acker hat, kann sich glücklich schätzen, denn sie zeugen von einem gesunden Boden. Auf meinem Rasen kann ich derzeit beobachten, wie sie Laub in den Boden einarbeiten, um es dort in Humus umwandeln zu lassen. Die Regenwürmer leisten die Vorarbeit, indem sie Blätter in den Boden ziehen. Die Hauptarbeit übernehmen Pilze und Bakterien. Sie bereiten für die Regenwürmer die Mahlzeit vor, indem sie die schwer verdaulichen Blätter zersetzen. Zwischendurch werden sie selbst zur Beute, weil der Wurm einen Teil der Pilze und Bakterien regelmäßig abgrast. Die übrig gebliebenen Mikroorganismen machen sich weiter über das Blatt her, das der Wurm immer tiefer in den Boden zupft – eine perfekte Symbiose.

Schwarze Würste

Angereichert mit Bodenpartikeln wandern Pilze, Bakterien, Blattreste und vermutlich noch einiges mehr durch den Wurm, der als Endprodukt auf dem Rasen kleine Häufchen ausscheidet, die angereichert sind mit Spurenelementen – ein Leckerbissen für die Pflanzen. Selbst zwischen den Betonplatten im Garten kann man die Häufchen bisweilen entdecken. Das zeigt: Darunter steckt ein Regenwurm.

Haben Regenwürmer eine Seele?

In den Röhren, die die Würmer graben, kann das Regenwasser wie in einem Schwamm versickern. Wir müssen ihnen dankbar sein, denn sie tragen dazu bei, dass sich Grundwasser immer wieder neu bildet und der Boden gut belüftet ist. Viele Regenwürmer sind also auch gut für das Klima. Deshalb schätze ich die kleinen Helfer im Garten sehr. Charles Darwin gestand ihnen sogar so etwas wie eine Seele zu, weil sie zu „gespannter Aufmerksamkeit“ fähig seien. In einer Zeit, als die Abstammung des Menschen vom Affen als Zumutung galt, ein wahrlich revolutionärer Gedanke.

Über die Autorin

Susanne Dohrn lebt als Autorin und freie Journalistin in einem alten Garten in Schleswig-Holstein. 2017 erschien ihr Buch „Das Ende der Natur: Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür“ (Ch.Links Verlag, Taschenbuchausgabe 2018 im Herder Verlag), 2019 veröffentlichte sie „Der Boden: Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel“ (Ch.Links Verlag). Im November 2020 erhielt das Buch den Salus-Medien-Sonderpreis, mit dem das Unternehmen "herausragende journalistische Beiträge ... zu Gentechnik, Ökologie und Umwelt" auszeichnet.

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